Meldungen aus dem Landesverband Hamburg
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"Unbekannte Luftwaffenhelferin“ aus dem Luftschutzkeller des Altonaer Rathauses nach 76 Jahren identifiziert

Sterberegister von Erika Sophie Larsen Hamburger Staatsarchiv, Signatur: HHStA 332-5_5438

Im Archivbestand des ehemaligen Standesamtes Altona, der heute Teil des Staatsarchivs Hamburg ist, befinden sich zahlreiche Personenstandsurkunden, die aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges stammen. Darunter befindet sich auch die Sterbeurkunde 986/1945, auf der sich ein etwas seltsamer Eintrag befindet:

Die ‚Unbekannte Luftwaffenhelferin‘ Erkennungsmarkennummer A512, 2. Flakregiment 26, Wohnort unbekannt, ist am 8. April 1945 um 22 Uhr 15 Minuten in Hamburg-Altona im Luftschutzkeller des Rathauses gefallen. Die Verstorbene war geboren unbekannten Tages und Jahres in unbekannt.“

Weitere Informationen fehlten. Diese Sterbeurkunde ist beileibe nicht die einzige Urkunde, die für einen anonymen Kriegstoten in Hamburg ausgestellt wurde. Gerade im Zuge der Bombardierungen Hamburgs wurden damals zahlreiche Tote bestattet, die nicht mehr identifiziert werden konnten.
Durch Zufall stieß der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. in Hamburg auf diese merkwürdige Eintragung. Die Identifizierung von Kriegstoten anhand von Erkennungsmarken ist eines von vielen Tätigkeitsfeldern, die der Volksbund im Bundesauftrag wahrnimmt. Doch auch diese Recherchen sind mitunter sehr mühsam, zeitaufwändig und nicht immer von Erfolg gekrönt. 

Im Falle der unbekannten Luftwaffenhelferin waren sie jedoch erfolgreich. Die Spur führt zu Erika Sophie Larsen; eine junge Frau, die in der Nacht des 8. Aprils 1945 im Luftschutzkeller des Altonaer Rathauses Schutz suchte. Erika Larsen stammte ursprünglich aus Kiel und wohnte dort in der Heischstraße 4 im Stadtteil Gaarden-Süd. Zum Zeitpunkt des Angriffs war sie 20 Jahre alt und diente als Luftwaffenhelferin bei der Hamburger Flugabwehr. Eine überaus gefährliche Tätigkeit, denn seit dem 17. Mai 1940 wurde Hamburg immer wieder Ziel alliierter Luftangriffe. Die schlimmsten Angriffe fanden im Sommer 1943 statt und sind heute allgemein als der „Hamburger Feuersturm“ oder die „Operation Gomorrha“ bekannt. Mehr als 40.000 Menschen kamen im Zuge dieser Angriffe um – mehr als in jeder anderen europäischen Großstadt. In Hamburg leisteten die Frauen in Uniform nicht nur Dienst in den Nachrichtenzentralen, sondern bedienten Suchscheinwerfer und Horchgeräte der Flugabwehr. Oft als „Blitzmädchen“ belächelt, leisteten Frauen in der Hamburger Flugabwehr einen Dienst, der nicht weniger gefährlich oder entbehrungsreich war, wie der der Männer.

Anfang April 1945 zeichnete sich bereits das nahende Ende des Zweiten Weltkrieges ab. Im Osten hatte die Rote Armee bei Küstrin bereits die Oder überschritten und bereitete sich zum Angriff auf Berlin vor. Im Westen waren die Alliierten bereits tief auf deutschen Boden vorgedrungen und hatten erst am 2. April Münster kampflos eingenommen. Dennoch erfolgten auch im April noch heftige Bombenangriffe auf Hamburg. Über 200mal wurde die Stadt während des Krieges bombardiert. 
Der Luftangriff vom 8. April 1945 traf vor allem Altona sehr stark. Rund 200 Bomber warfen über 2000 Brand- und Sprengbomben ab – der Angriff dauerte nur etwa 20 Minuten. Getroffen wurden zahlreiche Gebäude, darunter das Altonaer Museum und das Altonaer Rathaus. Im Luftschutzkeller des Altonaer Rathauses hielten sich zu diesem Zeitpunkt Nachrichtenhelferinnen und Luftwaffenhelferinnen auf. Die 26jährige Obernachrichtenhelferin Magdalena Simon aus Schlesien führte die kleine Gruppe an, Erika Larsen war die jüngste Frau im Luftschutzkeller. Gegen 22:15 Uhr wurde das Gebäude von einer Luftmine getroffen. Diese Bomben sind besonders dünnwandig und besitzen aufgrund ihres hohen Sprengstoffanteils eine besonders hohe Sprengkraft. Es ist nicht bekannt, ob eine der Frauen im Keller diesen Angriff überlebte. Es gibt zwar Berichte von schwer verwundeten Luftwaffenhelferinnen, doch fanden noch bis zum 14. April Luftangriffe auf Hamburg statt, wodurch die Zuordnung der verwundeten Luftwaffenhelferinnen rückblickend schwerfällt.

Erika Larsen konnte als auswärtige Luftwaffenhelferin zunächst nicht identifiziert werden, ihre Eltern waren zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben. Sie war auch nicht die einzige Frau aus dem Altonaer Rathaus, die als „Unbekannte Luftwaffenhelferin“ eine einfache Sterbeurkunde erhielt. 
Bestattet wurden die Frauen auf dem Ohlsdorfer Friedhof, wo ihre Gebeine auch heute noch ruhen. Durch das Bundesgräbergesetz besitzen die Hamburger Kriegstoten, zu denen nicht nur Militärangehörige, sondern auch Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge, Opfer der NS-Justiz und zivile Bombenopfer gehören, ein dauerhaftes Ruherecht. Somit werden diese Grabstätten wohl auch noch in hunderten Jahres bestehen und an diesen furchtbaren Krieg und eine bis dato nie gekannte Spirale der Gewalt und des Verbrechens erinnern. Mit seiner Bildungs- und Erinnerungsarbeit leistet der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge durch seinen Hamburger Landesverband einen Beitrag dazu, dass die damaligen Ereignisse nicht in Vergessenheit geraten und ungeklärte Fälle, wie der von Erika Larsen auch nach so langer Zeit aufgeklärt werden.

 

Dr. Christian Lübcke

Landesgeschäftsführer in Hamburg